Die Henkerstochter und das Spiel des Todes by Oliver Pötzsch

Die Henkerstochter und das Spiel des Todes by Oliver Pötzsch

Autor:Oliver Pötzsch
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Historischer Roman
Herausgeber: Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
veröffentlicht: 2014-12-31T16:00:00+00:00


Kapitel 12

Oberammergau, am frühen Vormittag

des 9. Mai, Anno Domini 1670

Ein halbes Dutzend zerbrochene Kirchenfenster, ein Haufen Dachschindeln, fünf entlaufene Kühe und drei Ohnmachtsanfälle bei alten Weibern, aber ohne schlimme Folgen, wie der Bader meint. Ach ja, und der alte Schuppen vom Pärtlbauern ist eingestürzt. Aber den hätte er ohnehin demnächst abreißen müssen.« Konrad Faistenmantel sah von seiner Liste auf und musterte die anderen Ratsmitglieder, die mit ihm am Tisch des Schwabenwirts saßen. Es war früher Vormittag, trotzdem hatte jeder der Männer bereits einen Humpen starkes Märzbier vor sich stehen.

»Alles in allem haben wir ziemliches Glück gehabt«, fuhr der Oberammergauer Ratsvorsitzende fort. »Auch das Feuer drüben im Kloster konnte gelöscht werden.«

»Und doch ist es ein Zeichen Gottes«, murmelte der alte Müller Augustin Sprenger. »Erst eine Kreuzigung, dann ein Tod wie der eines Märtyrers, nun dieses Erdbeben! Der Herr zürnt uns, und wir alle wissen, warum.«

»Was für ein Schmarren, Augustin!« Faistenmantel nahm einen tiefen Schluck Bier und ließ den Humpen auf den Tisch knallen. »Ein Erdbeben war’s, Punktum. Mein Vater, Gott hab ihn selig, hat auch schon von solchen Beben berichtet, die geschehen nun mal. Und jetzt komm bloß nicht wieder damit, wir hätten die Passion nicht vorziehen sollen.«

»Wir?« Sprenger spuckte dem Ratsvorsitzenden das Wort förmlich entgegen. »Du wolltest die Passion vier Jahre früher haben, weil du nur ans Geldverdienen denkst.«

Drohend erhob sich Faistenmantel von seinem Platz. »Wie kannst du es wagen …«

»Ruhe!«, ertönte die befehlsgewohnte Stimme des Ammergauer Richters. »Wer sich prügeln möchte, wartet damit gefälligst bis zur nächsten Kirchweih. Das hier ist eine ordentliche Sitzung!« Johannes Rieger musterte die beiden Streithähne streng. »Der Rat hat damals mehrheitlich beschlossen, dass wir das Passionsspiel vorziehen. Also kann auch nur der Rat entscheiden, wie es nun weitergeht. Die Meinung jedes Einzelnen wird in diesem Ort seit jeher geschätzt.« Er seufzte. »Leider. Aber so ist es nun mal Gesetz. Also?« Rieger sah abwartend in die Runde. »Wer ist dafür, dass wir die Passion trotz der jüngsten Vorkommnisse stattfinden lassen?«

Leise begannen sich die Männer zu unterhalten. Simon saß derweil mit Georg Kaiser am hintersten Eck des großen Tisches und wartete gespannt auf das Ergebnis der Abstimmung. Kaiser hatte ihn gebeten, ein weiteres Mal mitzukommen, da es galt, dem Rat über mögliche Verletzte durch das Beben zu berichten. Doch Simon hatte den Eindruck, dass sein Freund auch froh war, eine aufgeklärte Seele an seiner Seite zu haben. Das Erdbeben hatte dafür gesorgt, dass die ohnehin argwöhnische Stimmung im Ort noch misstrauischer wurde.

Nach einer Weile pochte der Richter mit seinem Gehstock ungeduldig auf den Boden. »Und, wie entscheidet der Rat? Wer dafür ist, dass das Passionsspiel noch dieses Pfingsten stattfindet, hebe nun die Hand.«

Konrad Faistenmantel meldete sich, außerdem der zweite Ratsvorsitzende Franz Würmseer, der eben erst von einer Rottfahrt zurückgekommen war. Der alte Augustin Sprenger und der Fassmaler Adam Göbl hingegen lehnten sich zurück und verschränkten demonstrativ ihre Arme vor der Brust. Alle blickten nun hinüber zu dem Verwalter des Oberammergauer Ballenhauses Sebastian Sailer. Nach dem Tod des sechsten Ratsmitglieds Urban Gabler kam es jetzt allein auf seine Stimme an.



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